Arnsberg-Hochsauerland


Paradigmenwechsel bei der Jagd

SPD und Grüne haben mit ihrem Koalitionsvertrag den „Paradigmenwechsel“ bei der Jagd angekündigt. Doch die bisherigen Anzeichen deuten nicht darauf hin, dass man Anschauung und Ausrichtung wirklich ändern möchte. Dabei ist das einer der Schlüssel zum Erhalt der Biodiversität in NRW. Daher hat der BUND das „13-Punkte-Programm für ein ökologisches Jagdgesetz“ vorgelegt, das aufzeigt, welche Veränderungen tatsächlich notwendig sind.

Bei wenigen Umweltthemen gibt es so viele fest gefahrene Vorstellungen wie bei der Jagd und ihrer Rechtsgrundlage, dem kaum veränderten Nachfolger des Reichsjagdgesetzes von Reichsjägermeister Göring aus dem Jahre 1934. Die beiden Bundesregierungsparteien schrieben sich sogar in ihr Koalitionspapier, nichts daran ändern zu wollen.

Seit der Föderalismusreform können die Bundesländer weitgehend ihr eigenes Jagdgesetz stricken – und Nordrhein-Westfalen tut dies in 2012. Aber den Paradigmenwechsel hat man jetzt schon aus den Augen verloren.

Vorlagen des natürlich durch einen Jäger geführten Jagdreferats beim Landesumweltministerium sehen weiterhin die Verfolgung von Rabenkrähe, Steinmarder, Iltis und Dachs vor. Junge Rotfüchse sollen auch weiterhin das ganze Jahr über getötet werden. Mit dem Mink hat man sogar eine Art ausgemacht, die neu ins Jagdrecht aufgenommen werden soll. Dabei ist, wie es Manfred Bauer, Leiter des Nationalparks Kellerwald auf einer Veranstaltung des Umweltministeriums formulierte, die Jagd auf Predatoren bekanntermaßen „Unsinn“. 50 000 Füchse werden allein in NRW jedes Jahr durch Jäger getötet. Dabei ist die Tollwut längst durch Impfung ausgerottet worden. Die Jagd hatte dabei komplett versagt.

Im Nationalpark Eifel soll es auch weiterhin „Wildtierregulierung“ geben, obwohl es der Gesetzgeber eigentlich untersagt. Und obwohl im Koalitionsvertrag steht, die Jagd soll in Schutzgebieten nur stattfinden, wenn der Schutzzweck dies erfordert. Jagd und Hege stellen aber faktisch in jedem Schutzgebiet eine Beeinträchtigung dar. So droht der Umweltminister derzeit selbst zu untergraben, was man den Menschen noch 2010 versprochen hatte.

Das größte Missverständnis in Bezug auf Jagd ist die Idee der Regulation. Auch Naturschützer sind oft von der Vorstellung geleitet, der Mensch müsste die Bestände von Paarhufern wie Reh oder Rothirsch begrenzen, weil er ja deren Feinde ausgerottet hatte. Dabei ist seit Jahrzehnten wissenschaftlich erwiesen, dass an erster Stelle die Ökofaktoren „Nahrung“ und „Raum“ einen Tierbestand steuern, nicht der Faktor „Beutegreifer“. Beim Wildschwein ist durch eine französische Langzeitstudie unlängst bewiesen worden, dass im Gegenteil die Jagd die Vermehrungsrate deutlich erhöht. In nicht oder wenig bejagten Gebieten gibt es viel weniger Schweine als in bejagten.

Und dann der Mais. Rehe und Schweine würden durch den „modernen“ Anbau gemästet und vermehrt und so in die Lage versetzt werden, über den Rest des Jahres Schäden an benachbarten Bäumen anzurichten. Sollte dies wirklich so sein, ist dies das Eingeständnis, dass die Jagd wirkungslos ist. Denn seit Jahrzehnten wird überall in Wald und Feld gejagt. Tatsächlich gibt es längst nachhaltigere Formen der Schadensvermeidung, bspw. E-Zäune, Gatter, optische oder akustische Abwehrmaßnahmen. Im Rahmen einer Vergrämung ist die Tötung eines Tieres nicht erforderlich oder zweckmäßig, der tierschutzgesetzlich vorgeschriebene „vernünftige Grund“ für eine Tötung daher nicht gegeben.

Das forstwirtschaftliche Interesse wird ohnehin gern hinter dem Deckmäntelchen des Waldschutzes versteckt. Dabei gibt es den Rothirsch länger bei uns als unsere Lieblingsbaumart Rotbuche, und dennoch konnte diese nach der letzten Eiszeit wieder einwandern und eine dominante Baumart werden. Denn Bäume müssen sich nicht so massenhaft vermehren, wie sie es heute häufig tun. Überall, wo Ressourcen entstehen, werden sie in der Natur genutzt. Das hat das Reh mit Borkenkäfer und Rötelmaus gemein. Waldarten wie Eremit oder Grauspecht, denen es heute schlechter geht denn je, sind von der ursprünglich lichteren Struktur unserer Wälder abhängig. Geschädigt wird nicht das Ökosystem Wald, sondern bestenfalls der naturschutzwidrige Anbau von Bäumen.

Tatsächlich gibt es nur noch ein einziges Sachargument, das Jagd rechtfertigt: die Wertschöpfung von tierischen Produkten. Blickt man aber auf die Jagdstrecke ist festzustellen, dass nur 6,8 % der über 1 360 000 geschossenen oder in Fallen erschlagenen Tiere aus Paarhufern bestehen. Im Jagdjahr 2009/2010 wurden über 90 % der durch Jäger getöteten Tiere keiner sinnvollen Verwertung zugeführt bzw. wurden tierschutz- oder naturschutzwidrig getötet: 117 Schwäne, 115 000 Krähen, 11 000 Katzen, 2 800 Möwen, 117 000 Fasane, 4 800 der gefährdeten Waldschnepfe usw. Ob Luchse, Wildkatzen oder Kolkraben darunter waren, werden wir nie erfahren, weil sich Jäger selbst kontrollieren. Jagd in NRW ist in stark überwiegendem Maße längst keine Landnutzungsform mehr, sondern zu einer bedenklichen Form der Freizeitbeschäftigung mutiert.

Jäger pochen gern auf Artikel 14 des Grundgesetzes, in welchem die Eigentumsfreiheit geschützt wird. Im selben Artikel steht aber auch, dass die Gesetze die Schranken bestimmen. Nicht nur gesellschaftliche Werte haben sich in 60 Jahren gewandelt, auch Tierschutzgesetz, Bundesnaturschutzgesetz und EU-Richtlinien gab es 1949 noch nicht. Es ist höchste Zeit, die Jagd an das 21. Jahrhundert anzupassen.


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