Ernst Rees: Was ist der Mensch?
(Gewagte, fast naive Einfälle zu einem unauslotbaren Thema)
Alles, was er ist, was er kann, was er hat, ist Geschenk auf Zeit: Leben, Gesundheit, Wohlgestalt, Begabung, Einbettung in vertrautes menschliches Umfeld, Heimat, Entfaltungsmöglichkeiten u.u.u.
Die dem Menschen gesteckten Grenzen sind eng und weit, je nach dem.
Eingewiesen in den Zeitraum zwischen Geburt und Tod, angewiesen auf irdische Existenzbedingungen, d.h. auch angewiesen auf den Dienst vieler Mitmenschen zur Befriedigung unabweisbarer Bedürfnisse, bedroht durch zahllose Gefahren für die leibliche und seelische Gesundheit, angepasst und eingeengt durch familiäre, soziale, gesellschaftliche Bindungen und Tabus, aber auch in ihnen geborgen, bedrängt von tierischer Triebhaftigkeit im Widerstreit zu den Forderungen der Vernunft und dem Sinn für Verantwortung - wahrlich keine Kleinigkeit, Mensch zu sein, zu werden!
Immer in Gefahr, von Außer-ich-mächten und Über-ich-Autoritäten, zum Beispiel zu eng gewordenen Sippen-tabus, Gruppenzwängen, Zeitgeist, konfessionelle Engen, Massentrends, Parteien, Ideologien, Notlagen, auch Verwöhnung, überzogenes Anspruchsniveau, Werbungsterror ... verführt, manipuliert, missbraucht zu werden.
Andererseits stehen aber dem Menschen durch die Vernunftbegabung neue Welten offen, von der auch höchst entwickelte Tiere keine Ahnung haben können.
Der wache Mensch erkennt seine Chancen, aber auch seine Grenzen. Er übersieht zeitliche Abläufe und Zusammenhänge, er kann Ursachen und Folgen überblicken oder abschätzen. Er fragt nach Ursprung und Ziel seiner Existenz. Er weiß um seine innere Freiheit, wählen zu können. Er kann sich der Einsicht nicht entziehen, dass diese Wahlfreiheit nicht zu trennen ist von der Soll-bindung an Verantwortbares. - Die innere Stimme, die mahnt und warnt, lobt und tadelt, deutet er wohl nicht zu unrecht als Stimme der Macht, die ihn ins Leben gerufen hat.
Wir Menschen sind also offenbar "Wanderer zwischen zwei Welten". Doch traumwandlerische Sicherheit im Suchen und Finden des rechten Weges ist uns nicht gegeben.
Der Schöpferauftrag an uns mit seiner Vieldeutigkeit in der konkreten Situation und das damit mögliche Verfehlen des Auftrags ist Thema und Problem aller Religionen und Philosophien.
Im Vergleich zu den höheren Tieren stolpern wir Menschen quasi maßstablos, ohne vorgegebene Maße, also "maß-los" ins Leben. Wer ermisst die Größe der Verantwortung von jedem, dem junges Leben anvertraut ist, die rechten Maßstäbe nicht vorzusagen, sondern vorzuleben! - Unerwünschte Miterzieher werden sich sowieso nicht abschütteln lassen. Kein Mensch kann sich heute dem Meer an Eindrücken und Einflüssen von außen entziehen. - Wir schwimmen heute ja förmlich darin.
Sie sollten aber für den wachen Menschen nur Herausforderung und Spielmaterial sein, Chance und Risiko, Prüfstand und Versuchung in einem.
Ich fasse zusammen:
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