23. Juli 2011, Leserbrief von: Max Schoderer, Herbolzheim GEWERBEGEBIET IN WAGENSTADT Kirchturmdenken statt Gesamtverantwortung Die Debatte um das in Wagenstadt geplante Gewerbegebiet Steinacker wirft nach Ansicht des ehemaligen Gemeinderats Max Schoderer grundsätzliche Fragen auf: Die Kritik an dem neuen Gewerbegebiet in Wagenstadt ist in vielerlei Hinsicht berechtigt. Man muss sich in Herbolzheim zwischenzeitlich ernsthaft fragen, ob jedem Bauplatzsuchenden – egal ob privat oder Gewerbe – , wenn er an die Rathaustür klopft, "sein" maßgeschneidertes Baugebiet zur Verfügung gestellt wird. Ein Bebauungsplan jagt den anderen. Der Flächenverbrauch in den vergangenen Jahren war exorbitant und ist im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch unverantwortlich. Was sollen denn die Nachfolger der heute politisch Verantwortlichen noch verkaufen, wenn die Gegenwartsgeneration alles verhökert hat? Wer noch eine Vorstellung davon hat, wie die Stadt vor einem Jahrzehnt ausgesehen hat und sie jetzt ansieht, dem muss es die Sorgenfalten ins Gesicht eingraben, wenn er sich vorstellt, dass das so weitergeht. Alles nur zur kurzfristigen Geldbeschaffung. Was an dieser Vorgehensweise nachhaltig ist, das erschließt sich mir nicht. In keiner Haushaltsrede wird dieser Begriff ausgelassen. Mit schöner Regelmäßigkeit wird der Flächenverbrauch bedauert, um im gleichen Atemzug die Voraussetzungen für den Verkauf von weiteren zig Hektar Grund und Boden zu beschließen. Die Finanzierung des Vermögenshaushalts durch Grundstückserlöse ist in den vergangenen Jahren ausgeufert und allem Anschein nach ist niemand in der Lage, dem entgegenzuwirken. Dabei sind Grundstückserlöse haushaltsrechtlich aus gutem Grunde nur so genannte "Ersatzdeckungsmittel". Die Kommunen sollen ihre Investitionen vorrangig aus Überschüssen des Verwaltungshaushalts und aus Zuschüssen decken. Die Diskussion um das Gewerbegebiet in Wagenstadt macht dabei ein grundlegendes und strukturelles Problem offenkundig. Auch 40 Jahre nach der Eingemeindung sind in den Ortsteilen noch immer mehr oder weniger ausgeprägte Defizite mit der Identifikation als Gesamtstadt vorhanden. In manchen Köpfen von politisch Verantwortlichen führt das zu einem Kirchturmdenken, das die Gesamtverantwortung für die Stadt verdrängt. Die Argumente, die im Ortschaftsrat von Wagenstadt für ein solches Baugebiet genannt werden, sind hierfür symptomatisch. Ob Wagenstadt ein solches Gewerbegebiet hat oder nicht, ist für den Ort doch keine existentielle Frage. Wenn eine Handvoll Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz vor Ort hat, müssen trotzdem zig andere an ihren Arbeitsplatz pendeln. Weshalb soll dann aus Gründen der "Eigenentwicklung" ein Gewerbegebiet notwendig sein, wenn in der Gesamtstadt genügend solcher Flächen vorhanden sind. Rational begründbar ist das nicht; rational wird aber auch gar nicht argumentiert. Letztlich werden zur Befriedigung von Einzelinteressen elementare Belange der Gesamtstadt am Erhalt einer ökologisch wertvollen Landschaft und am Schutz von Anwohnern gegen zusätzlichen Verkehrslärm und Abgase geopfert. Das Vorgehen der Stadt in dieser Sache weist doch einige Parallelen zum Verhalten der Bahn beim viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn auf – Sturheit hier wie dort. Der vorliegende Fall ist meines Erachtens Anlass, nicht nur über den Sinn des Fortbestandes der Ortschaftsverfassung nachzudenken, sondern diese nach so vielen Jahren endlich abzuschaffen. Die Erfahrungen mit der Aufhebung der unechten Teilortswahl in Herbolzheim haben gezeigt, dass die Ortschaften im Gemeinderat trotzdem in ausreichendem Umfang repräsentiert sind - bezogen auf die Einwohnerzahl der Ortsteile sind sie sogar überrepräsentiert. Ein solcher Schritt, würde die Gesamtverantwortung für die Stadt bei politischen Entscheidungen in den Vordergrund rücken, die Entscheidungsabläufe effizienter machen und wäre letztlich der erste Einstieg in eine "strukturelle" Haushaltskonsolidierung – auch darüber gibt es seit Jahren jede Menge Fensterreden. Die Ortschaftsräte sollten sich ein Beispiel an Schmieheim nehmen. Dort hat der Ortschaftsrat beschlossen, dem Gemeinderat von Kippenheim die Aufhebung der Ortschaftsverfassung zu empfehlen und den Ortschaftsrat abzuschaffen. Das ist politischer Weitblick. Den würde ich mir auch für Herbolzheim wünschen.