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Ehrfurcht vor dem Leben - Albert Schweitzer




Ehrfurcht vor dem Leben


Albert Schweitzer

Am Abend des dritten Tages, als wir uns beim Sonnenuntergang in der Nähe des Dorfes Igendja befanden, mussten wir einer Insel in dem über einen Kilometer breiten Fluss entlang fahren. Auf einer Sandbank, zur linken, wanderten vier Nilpferde mit ihren Jungen in derselben Richtung wie wir. Da kam ich, in meiner großen Müdigkeit und Verzagtheit plötzlich auf das Wort "Ehrfurcht vor dem Leben", das ich, soviel ich weiß, nie gehört und nie gelesen hatte. Alsbald begriff ich, daß es die Lösung des Problems, mit dem ich mich abquälte, in sich trug. Es ging mir auf, daß die Ethik, die nur mit unserem Verhältnis zu den anderen Menschen zu tun hat, unvollständig ist und darum nicht die völlige Energie besitzen kann.


Aus: Albert Schweitzer: Die Ehrfurcht vor dem Leben - Grundtexte aus fünf Jahrzehnten. München 1966 u. ö., S.20





„Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will“



Mit diesem bemerkenswerten Satz endete in der Waldkircher Stadtkapelle vor über 120 Zuhörern die musikalische Lesung „Ehrfurcht vor dem Leben“ der Straßburger Schauspielgruppe „ A livre ouvert/wie ein offenes Buch“ aus den Schriften des elsäs-sischen evangelischen Theologen, Philosophen, Pazifisten, Naturschützers und „Urwald-doktors“ Albert Schweitzer. Für die musikalische Umrahmung mit Stücken von Johann Sebastian Bach sorgten die temperamentvolle Straßburger Cellistin Lisa Erbès und die einfühlsame Organistin Eva Wohlfahrth aus Emmendingen. Die hochaktuellen Gedan-ken von Albert Schweitzer, geboren 1875 in Kaisersberg, gestorben 1965 im afrikani-schen Lambarene, zu einem sinnerfüllten und für die Mitwelt wertvollen Leben sind grundlegend anders und verschieden von dem, was sich heute als der „Mainstream“ vernünftiger Lebensgestaltung ausgibt. Wie zartfühlend und weise sind die Betrach-tungen dieses lebenslangen Sinnsuchers. Schon der junge Albert spürte in seinen Kindertagen im elsässischen Dorf Günsbach einen tiefen Respekt vor dem Leben von Mensch und Tier, wie die vorgestellte Passage seiner Jugenderinnerungen zeigt. Als ein Kinderfreund ihn zum Vögelschießen mit einer Steinschleuder verleiten will, ver-scheucht er lieber die friedlich in einem Baum singenden Vögel, damit sie wegfliegen und sich in Sicherheit bringen, und rennt dann schnell nach Hause. Die Kirchenglocken hatten nämlich in diesem Moment zu läuten begonnen. Das war ihm wie ein göttliches Zeichen.
Dass der vielseitig interessierte Schweitzer als promovierter Mediziner bereits im Jahre 1913, also ein Jahr vor Beginn des mörderischen 1. Weltkriegs zwischen den zwei damaligen Erbfeinden Frankreich und Deutschland das Urwaldkrankenhaus in Äqua-torialafrika, im heutigen Gabun, gegründet hat, weist ihn als Vorläufer und Vordenker der heutigen „Ärzte ohne Grenzen“ aus, deren Anliegen ja ist, mit ihren weltweiten Hilfsaktionen Flüchtenden und Kranken „vor Ort“ zu helfen.
Bei seinen zahlreichen Erkundungsfahrten durch den Urwald stand dem immer auch geistig arbeitenden und mit dem kriegerischen und menschenverachtenden Zeitgeist ringenden Schweitzer plötzlich eine Erkenntnis vor Augen, die später als ethischer Begriff und Forderung „Ehrfurcht vor dem Leben“ in die Kulturdebatte Eingang fand.
Die Schauspielerin Aline Martin und der Schauspieler Jean Lorrain rezitierten in höch-ster Präzision eine Auswahl aus Schweitzers zahlreichen Werken, die diesen, auch bis ins hohe Alter seiner elsässischen Heimat sehr verbundenen Universalisten, den Zuhö-rern nahe brachten. Dass Schweitzer zu allem hin auch ein begnadeter Organist und Interpret der Werke von Johann Sebastian Bach war, bezeugen diverse CDs, die heute noch auf dem Musikmarkt erhältlich sind ebenso wie die Film-DVD über Albert Schweitzer mit der beeindruckenden Originalstimme des Urwalddoktors und Friedens-nobelpreisträgers von 1952.
Veranstalter des Abends waren die BUND-Gruppe Waldkirch und der BUND-Regional-verband Südlicher Oberrhein in Freiburg, die damit an den 140. Geburtstag und den 50. Todestag dieser großen Persönlichkeit und des frühen Naturschützers erinnern wollten. Ein gemeinsames Herzensanliegen ist den Akteuren und den Veranstaltern, den seit den Umweltwiderständen gegen das Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim und gegen das AKW im südbadischen Wyhl begonnenen grenzüberschreitenden Kulturaus-tausch am Oberrhein nicht abreissen zu lassen. Aline Martin wies am Ende auf die Auf-führung der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill hin, die als Koope-ration des Kehler „Theaters der 2 Ufer“ und der Straßburger Theatergruppe „A livre ouvert/wie ein offenes Buch“ im Sommer in Kehl stattfinden wird.
Roland Burkhart





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Dieser Artikel wurde 8489 mal gelesen und am 14.1.2022 zuletzt geändert.