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Zollfreie Straße bei Basel - Geschichte eines Widerstands



Am 6. Februar 2006 haben die Holzfäller Fakten geschaffen. 110 Bäume entlang des Wieseflusses wurden gefällt, um der geplanten „Zollfreistraße“ Platz zu machen. Zuvor waren in einer groß angelegten Polizeiaktion die AktivistInnen entfernt worden, die sich unter und auf den Bäumen versammelt und das Gebiet besetzt hatten. Vor ihren Augen und vor denjenigen zahlreicher protestierender PolitikerInnen wurde einer langen Geschichte ein trauriges Kapitel hinzugefügt.
Vor langer Zeit, 1852, schlossen das Herzogtum Baden und die Schweizer Eidgenossenschaft einen vertraglich festgehaltenen Tauschhandel ab. 1977 wurde der Staatsvertrag bekräftigt: Die Schweiz erhielt das Recht, die Zollabfertigungsstelle Basel/Weil auf deutschem Boden zu bauen, Deutschland sollte im Gegenzug zustehen, die Städte Weil am Rhein und Lörrach mit einer zollfreien Straße über Schweizer Gebiet zu verbinden. Wer von der einen in die andere Stadt will, muss bislang zweimal den Zoll passieren. Das Projekt „Zollfreistraße“ sollte hier Abhilfe schaffen.
Bald schon mehrten sich die Proteste gegen die Straße, die durch ein schönes und ökologisch wertvolles Auenwäldchen führen sollte. Das Wäldchen stellt eine natürliche Verbindung zwischen dem Tüllinger Hügel und den Langen Erlen dar, es wird von Mensch und Tier als Rückzugsort genutzt. 1984 formierte sich der grenzüberschreitende Verein Regio ohne Zollfreie (RoZ) zum Widerstand. Er bringt seither gewichtige Argumente gegen das Projekt vor und konnte den Bau der Zollfreistraße bis jetzt verhindern - mit politischen, juristischen und aktivistischen Mitteln.
Der Staatsvertrag an sich und die Linienführung der Straße wurden auf allen politischen Ebenen diskutiert. Kritikwürdig war und ist nicht nur die Zerschneidung einer wertvollen Landschaft, sondern auch die Gefahr eines Hangrutsches am Tüllinger Hügel, des so genannten Schlipfs. Der Schlipf ist bekannt für seine Instabilität: in den letzten Jahrhunderten ist er etwa alle 100 Jahre einmal abgerutscht, die Befestigung der Straße ist also schwierig und unsicher. Verschiedene geologische Gutachten, die dazu erstellt wurden, kamen zu völlig unterschiedlichen Resultaten. Letztlich wurde jedoch dasjenige für geltend erklärt, das den Bau der Zollfreistraße für unproblematisch hält. Weitere Untersuchungen, die genauere Aussagen zur Sicherheit der Straße zuließen, wurden bis heute nicht durchgeführt.
Die politischen und juristischen Proteste, aber auch der Mangel an Geld auf deutscher Seite, verzögerten den Baubeginn stetig.

Seit Sommer 2003 mussten die ZollfreigegnerInnen den Baubeginn erwarten, woraufhin sie ihren Protest neu organisierten. Am regelmäßig stattfindenen “Zollfrei Z’vieri“ an Samstagnachmittagen wurden und werden vor Ort Neuigkeiten ausgetauscht, Aktionen geplant und Kontakte geknüpft. Immer wieder werden Akteure aus der Politik zur Diskussion eingeladen oder Konzerte organisiert. Das Zollfrei Z’vieri ist ein tragendes Mittel, um den Widerstand aufrecht zu erhalten. Vermehrt berichteten auch die Medien über die Geschehnisse an der Wiese.
Am 17. Januar 2004 baute Martin Vosseler, ein Basler Arzt und Umweltaktivist, zum ersten Mal sein Zelt am linken Wieseufer auf. Bald schon stand sein Zelt nicht mehr alleine, 30 weitere ließen ein Zeltdorf des Widerstandes entstehen. Gleichzeitig startete Vosseler eine Fastenaktion, die bis zu einer verbindlichen Zusicherung eines Fäll- und Baustopps dauern sollte. Die RoZ forderte Neuverhandlungen der Vertragsparteien aufgrund der geänderten verkehrstechnischen, umwelttechnischen und politischen Verhältnisse. Anstatt der Zollfreistraße schlug sie Tramverlängerungen nach Deutschland oder den Ausbau der Regio-S-Bahn als Alternativlösungen vor.
Am 5. Februar 2004 fand auf dem Basler Marktplatz die erste große Demonstration gegen die Zollfreistraße statt. Über 2000 Leute zeigen dort ihren Unmut über den Bau, den man allenthalben für unnötig und veraltet ansah. Da ein möglicher Baubeginn aber näher rückte, wurden eine Informationsgruppe, eine Aktionsgruppe und eine Baumschutzgruppe gegründet, die den Widerstand optimal organisieren sollten. Der Widerstand schien tatsächlich Erfolg zu haben: Am 12. Februar 2004 gab der Kanton Basel-Land einen sofortigen Fäll- und Baustopp und Neuverhandlungen im April bekannt. Nach 27 Tagen nahm Martin Vosseler daraufhin im Blitzlichtgewitter der Medien seine erste Nahrung zu sich. Trotz der positiven Entwicklung setzten die GegnerInnen der Zollfreistraße ihren Widerstand fort: sie organisierten weiterhin öffentliche Aktionen und Informationsstände und schrieben hunderte von Briefen als Zeichen des Protests an deutsche und Schweizer PolitikerInnen.
Da die Neuverhandlungen – wie leider wohl nicht anders zu erwarten war – zu Gunsten der Zollfreistraße ausgingen, wurden im April 2004 erneut Zelte aufgeschlagen. Am 12. April 2005 gründeten AktivistInnen zur Manifestierung des Widerstandes die IG Auenpark. Als Dachverbund zahlreicher Umweltorganisationen soll sie dem Protest Nachdruck verleihen und diesen breiter abstützen. Kurz darauf lancierte die IG Auenpark wiederum die „Wiese-Initiative“ zum Schutz des Wiese-Ufers. Die Initiative fordert ein Arteninventar des betroffenen Gebietes. Dieses sollte abklären, ob das Ufer gemäß Artenschutzabkommen geschützt werden müsste. In Rekordzeit wurden über 6000 Unterschriften gesammelt, die die Volksabstimmung ermöglichten.

Am 12. Februar 2006 wurde im Kanton Basel-Land über die Initiative abgestimmt – die Bäume allerdings ließ die Kantonsregierung im Auftrag der deutschen Bauherrschaft schon vorher fällen. Damit wurde das stets betonte gutnachbarschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz, dessen Verletzung der Basler Regierung wegen der Verzögerung des Baus mehrfach vorgeworfen worden war, endgültig mit Füßen getreten. Der Widerstand geht jedoch weiter, denn gebaut ist noch lange nichts.
Mit 58,2% JA-Stimmen wurde die Wiese-Initiative deutlich angenommen und die Gegnerschaft der Straße in ihrem Tun bestärkt. Der Widerstand wird auf allen Ebenen weitergeführt.

Mirjam Ballmer







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Dieser Artikel wurde 6260 mal gelesen und am 12.1.2022 zuletzt geändert.