Deutschland im Deutschland-Herbst

Allianz „Kein Diesel ohne Filter“ fordert von neuer Bundesregierung Sofortmaßnahmen zur Eindämmung der Feinstaubbelastung in den Städten

Große Koalition kann sich bei der Verabschiedung eines Anreizsystems zur flächendeckenden Einführung des Partikelfilters nicht mehr hinter dem Bundesrat verstecken


Berlin, 20. Oktober 2005:
Die neue Bundesregierung soll bis zum Jahreswechsel ein wirksames Anreizsystem zur flächendeckenden Einführung von Dieselruß-Partikelfiltern schaffen. Außerdem muss sie das vom Bundesrat am vergangenen Freitag verabschiedete, verfehlte Konzept zur Kennzeichnung rußarmer Fahrzeuge so umarbeiten, dass die Kommunen im Fall von Fahrverboten zwischen gefilterten und ungefilterten Fahrzeugen differenzieren können. Das forderte die Allianz „Kein Diesel ohne Filter“ am Donnerstag in Berlin.

„Der beschämende Stillstand bei der Schaffung einer steuerlichen Filterförderung für Alt- und Neufahrzeuge muss jetzt ein Ende haben. Wir fordern zum 1. Januar 2006 eine aufkommensneutrale steuerliche Förderung von Diesel-Neufahrzeugen wie Altfahrzeugen, die die EU-Norm von 5,0 mg PM/km unterschreiten. Für den künftigen Umweltminister Sigmar Gabriel ist das die Probe aufs Exempel: Er kann hier erstmals die ihm allseits zugeschriebene Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis stellen“, sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH). Resch erinnerte daran, dass Bund und Länder ihre gegenseitige Blockade im vergangenen Winter und Frühjahr solange aufrecht erhielten, bis die vorzeitigen Neuwahlen die Exekutive in einen bis heute andauernden politischen Sommerschlaf versetzten. Jetzt stehe der nächste Winter vor der Tür und mit ihm die Jahreszeit fast täglicher Überschreitungen der Feinstaub-Grenzwerte. „Es muss Schluss sein mit der politischen Selbstblockade des Landes zu Lasten der Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger“, so Resch.

Immer deutlicher zeige sich, dass Teile der Autoindustrie auf nachlassenden öffentlichen Druck in der Feinstaub-Debatte mit „neuen Tricksereien und aktiver Verbrauchertäu-schung bei der Einführung der Dieselfilter“ reagiere. Das gelte für den DaimlerChrysler-Konzern, der dem Stadtwagen Smart trotz gegenteiliger Ankündigungen von Jürgen Schrempp den Partikelfilter verweigert, ebenso wie für die Marken der Volkswagen AG, VW, Skoda und Seat, die nach wie vor sämtliche Diesel-Massenmodelle ohne Filter verkaufen. Den Nutzfahrzeugherstellern MAN und Mercedes-Benz warf Resch vor, ab Oktober 2006 ihre Busse ausnahmslos ohne Partikelfilter verkaufen zu wollen. Die Einhal-tung der Euro IV Norm für Nutzfahrzeuge soll dafür genutzt werden, aus „Kostengründen“ auf einen geregelten Dieselruß-Filter zu verzichten, den bisher immerhin 50 Prozent der neu verkauften Busse haben. Resch: „MAN und DaimlerChrysler gefährden aus kurzfristiger Profitgier und in vollem Bewusstsein die Gesundheit der Bundesbürger: Nach den vorliegenden Prüfdaten liegen die Partikelemissionen um das Vier- bis Fünffache höher gegenüber denen der heute verkauften Busse mit Filter.“

Der Verkehrsexperte des Naturschutzbundes Deutschland (NABU e.V.), Dietmar Oeliger, erinnerte daran, dass Busse und Lkw trotz ihres zahlenmäßig geringen Anteils für einen Großteil der Partikelbelastung in den Innenstädten verantwortlich seien. „Für den Busverkehr ist das doppelt problematisch, weil er damit seinen ansonsten unbestrittenen Umweltvorteil aufs Spiel setzt“, warnte Oeliger. Ähnlich verhalte es sich mit der Bahn, die bisher keine Diesellokomotiven mit Filtertechnik einsetze, aber insbesondere im Rangierverkehr zu erheblichen Partikelbelastungen beitrage. Vor allem aber führe der Straßengüterverkehr in den Innenstädten, meist in Gestalt städtischer Zulieferer, zu enormen Feinstaubbelastungen. „Aus unserer Sicht ist die Lkw-Maut ein hervorragendes Steuerungsinstrument zur schnellen Filterverbreitung und Feinstaubreduktion, wenn ihre Höhe sehr viel stärker als bisher nach dem Schadstoffausstoß differenziert wird“, sagte der NABU-Experte. So bald als möglich müssten darüber hinaus alle Bun-desstraßen und leichtere Lkw ab 3,5 Tonnen in die Mautpflicht einbezogen werden, um den Trend zu Mautflucht und immer mehr Klein-Lkw aufzuhalten.

Gerd Lottsiepen, der verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) forderte die neue Bundesregierung auf, umgehend die steuerliche Förderung des Partikelfilters auf den Weg zu bringen. „Vorrangig ist jetzt eine wirksame Nachrüst-Förderung für die neun Millionen Diesel-Pkw auf unseren Straßen, die ohne Filter Tag für Tag unsere Atemluft verpesten. Fast alle können nachgerüstet und entgiftet werden“, sagte Lottsiepen. Weil die Nachrüstung mit hochwirksamen Filtern, die 99 Prozent aller Partikel eliminieren, deutlich teurer sei als der Einsatz so genannter „offener Filter“, müssten solche Systeme entsprechend stärker unterstützt werden. Eine solche Steuerförderung zum Gesundheitsschutz, vor allem der Stadtbewohner, könne aufkommensneutral entweder über die Höherbesteuerung von Dreckschleudern oder aber die Angleichung der Mineralölsteuer auf Diesel- und Benzin-Kraftstoff um nur einen Cent gestaltet werden. Lottsiepen: „Die Fraktionen einer großen Koalition können sich nicht länger hinter dem Bundesrat verstecken. Das Schwarze-Peter-Spiel war gestern, jetzt ist konsequenter Gesundheitsschutz angesagt.“

Um Städten, in denen die Feinstaubgrenzwerte regelmäßig überschritten werden, eine Möglichkeit zu geben, gezielte Verkehrsverbote für „Diesel-Stinker“ zu verhängen, muss nach Überzeugung der Rußfilterallianz so schnell wie möglich eine differenzierte Kennzeichnung hoch emittierender Dieselfahrzeuge geschaffen werden. Werner Reh, Referent für Verkehrspolitik des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND e.V.): „Der letzten Bundesregierung fehlten am Ende die Einigkeit, die Durchsetzungskraft und in Teilen auch der Mut, eine Kennzeichnungsverordnung zu verabschieden. Ohne ein solches Plakettensystem haben die Städte aber wenig Chancen, die Gesundheit ihrer Bürger wirksam zu schützen, weil sie gegen die Hauptverursacher nicht gezielt vorgehen können.“ Reh warnte die Bundesregierung eindringlich, dem Vorschlag des Bundesrats vom 14. Oktober 2005 zu folgen. „Das Bundesratskonzept kommt einer bedingungslosen Kapitulation vor der rückständigen Autoindustrie gleich. Diese Regelung gibt dem Auto-Käufer keinerlei Anreiz, sich für einen gefilterten Diesel-Pkw zu entscheiden. Alle heute angebotenen Neuwagen mit Dieselmotor erhalten, ob mit oder ohne Filter, die gleiche Plakette, so Reh. Der BUND-Experte schlug stattdessen eine differenzierte Kennzeichnung vor, die sich an dem im Sommer vom BMU vorgelegten Konzept orientiert. Das hatte der damalige Umweltminister Jürgen Trittin nach einer Anhörung unter anderem der in der Rußfilterallianz zusammen geschlossenen Verbände vorgeschlagen.

Greenpeace-Verkehrsexperte Günter Hubmann warnte die neue Bundesregierung, die Hängepartie bei der Filterförderung weiter in die Länge zu ziehen: „Der Partikelfilter reduziert die Feinstaub-Belastung. Er rettet ganz konkret Menschenleben in unseren Städten. Die neue Bundesregierung hat eine fast einmalige Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger vor Umweltkrankheiten zu schützen und gleichzeitig bei den Autozulieferern und in Kfz-Werkstätten Arbeitsplätze zu schaffen.“

Hubmann erinnerte an die auf Studien der Weltgesundheitsorganisation WHO basie-rende „Todesbilanz aus Dieselruß und Feinstaub“. Danach starben im Jahr 2000 allein in Deutschland 65.000 Menschen vorzeitig an den feinen und feinsten Partikeln. Würde die EU-Feinstaubrichtlinie, deren Grenzwerte in diesem Jahr in fast allen deutschen Ballungszentren verletzt werden, konsequent eingehalten, wären im Jahr 2020 etwa 17.000 Tote weniger zu beklagen. Hubmann: „Das wäre eine Fortschritt, aber es bliebe ein Drama, denn auch dann würden immer noch jährlich 48.000 Menschen vorzeitig an Dieselruß und Feinstaub sterben“. Selbst wenn die Richtlinie eins zu eins umgesetzt würde, müssten laut WHO deutsche Kinder im Jahr 2020 noch immer an 324.000 „Kindertagen“ Medikamente gegen die Gesundheitsfolgen einnehmen. Insgesamt leiden hierzulande Kinder an über 13 Millionen Erkrankungstagen an den Folgen von Dieselruß- und Feinstaubvergiftungen. Der Greenpeace-Experte bat die designierte Bundes-regierung, diese Tragödie entsprechend dem Verfassungsauftrag zum Gesundheits-schutz zu bekämpfen. Hubmann: „Das muss sich schon in der Koalitionsvereinbarung ganz konkret niederschlagen.“

„KEIN DIESEL OHNE FILTER“ ist ein breites Aktionsbündnis aus Umwelt- und Verbraucherverbänden, Verkehrs- und Automobilclubs, Gesundheitsexperten und Kinderschutzbund. Wissenschaftlicher Berater ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Nach seiner Gründung im Herbst 2002 hat sich das Bündnis zum Ziel gesetzt, durch eine breit angelegte Aufklärungskampagne Druck auf die Automobilin-dustrie und die Politik zur durchgängigen Einführung des Dieselrußfilters auszuüben, und die Verbraucher über die Gefahren von Dieselruß und verfügbare Filtertechnologien aufzuklären.

Für Rückfragen:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Fritz-Reichle-Ring 4, 78315 Radolfzell, Tel.: 07732/9995-0, Fax.: 07732/9995-77, Mobil: 0171/3649170, resch@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Politischer Leiter, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030/258986-15, Fax.: 030/258986-19, Mobil: 0171/5660577,
rosenkranz@duh.de

Dr. Werner Reh, Referent für Verkehrspolitik, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, Tel. 030/27586 435, Fax 030/27586-440, Mobil: 0160/8232040, werner.reh@bund.net

Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher, Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD), Kochstr. 27, 10969 Berlin, Tel.: 030/28035111, Fax.: 030/28035110, Mobil: 0171/8824449, gerd.lottsiepen@vcd.org

Günter Hubmann, Greenpeace-Verkehrsexperte, Große Elbstraße 39, 22767 Hamburg,
Tel.: 040/30618-381, Fax.: 040/30631-181, Mobil: 0179/5331415,
guenter.hubmann@greenpeace.de

Dietmar Oeliger, Referent für Mobilität und Verkehr, NABU e.V., Invalidenstr. 112, 10115 Berlin, Tel.: 030/284984-28, Fax.: 030/284984-84, dietmar.oeliger@nabu.de


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